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Preisträger 1989: ORFEO - eine Reihe vokaler Ereignisse


Ihre Ohren werden Augen machen“, lautete das Versprechen der „Reihe vokaler Ereignisse“ ORFEO bei der Gründung 1989. Der „chor pro musica graz“ hatte es sich zur Aufgabe gemacht, neben seiner eigenen musikalischen Tätigkeit unter seinem Leiter Gerd Kenda auch eine Konzertreihe zu organisieren, in der international renommierte Gesangssolisten, Ensembles und Chöre auftreten sollten.

Eine kleine Gruppe von Studenten – allesamt Sängerinnen und Sängern aus dem chor pro musica – übernahm unter der Leitung von Michael Tschida die finanziell wie organisatorisch risikoreiche Aufgabe. Weil aller Anfang schwer und die Skepsis unter Freunden, Veranstaltern und Geldgebern zunächst groß war, kam die kräftige Starthilfe mit der Zuerkennung des „Erwin-Ortner-Preises 1989“ im Gründungsjahr der Reihe gerade recht.

Bei ORFEO in Graz traf sich in der Folge von 1989 bis 1999 alles, was in der vokalen Welt Rang und Namen hat. Die Reihe überraschte aber auch mit ausgesuchten Raritäten, mit einer One-Man-Oper, mit einer enthaupteten Sängerin, mit Interpreten aus exotischen Welten, mit moderner Madrigalmusik samt Figurentheater, mit avantgardistischen Soloperformances,  Ur- und Erstaufführungen und vielem mehr.

Über den damals einzigen Konzertzyklus in Europa ausschließlich mit Vokalmusik sollte Renate Burtscher, die Stimmenexpertin von Ö1, einmal urteilen: „ORFEO ist immer neu, immer vielfältig, immer aufregend, der Hauptstadt Wien um Meilen voraus“.

Gäste empfangen und Freunde verabschieden“, lautete eine Maxime der ORFEO-Mitglieder. Was uns neben den professionellen Konzertdurchführungen oft gelang und bei den eingeladenen Künstlern, vom blutjungen Organisationsteam offenbar sehr angetan, auf große Resonanz stieß: So gingen wir zum Beispiel gegen die Swingle Singers in den meisten Squash-Partien ein. Auch die King’s Singers zeigten uns beim Hallen-Kick, dass England jederzeit Österreich schlagen kann. Wir saßen mit den Choristen von Ave Sol gebannt vor dem Radio, als diese knapp vor ihrem Auftritt von den Straßenschlachten daheim in ihrer Heimat Lettland erfuhren. Wir begleiteten Emma Kirkby beim Weihnachtseinkauf. Wir tranken mit den Tenores di Bitti in einem Restaurant heimlich ihren selbst mitgebrachten sardischen Wein, weil es sie vorm steirischen grauste. Wir sangen mit der Jazzdiva Betty Carter nach dem Dinner round midnight einen Song von Elvis Presley. Wir kämpften uns mit den dänischen Gästen von Ars Nova im Mai im Schneegestöber durch die Bärenschützklamm. Wir sahen den New Yorker Avantgardeperformer Rinde Eckert, der zuletzt vor 25 Jahren Schi gefahren war, auf der Bürger–alm zigmal in den Schnee köpfeln. Wir mussten Michiko Hirayama um 2 Uhr nachts zur Abschleppfirma Pirnath mitnehmen, um das Auto auszulösen, in dem ihr Heiligtum lag – ein ihr von Giacinto Scelsi geschenkter Gong...

Im Mai 1999 beschlossen wir die Saison mit ORFEO X. Das Barockfest mit dem Titel „Der Traum des Orpheus“ zum zehnjährigen Jubiläum war zugleich auch der Schlusspunkt hinter die künstlerisch, organisatorisch und wirtschaftlich bis dahin höchst erfolgreiche „Reihe vokaler Ereignisse“. Die Entscheidung fiel einerseits, weil das Bundesministerium seine ohnehin nur bescheidene, aber für uns lebenswichtige Subvention zur Gänze strich. Andererseits waren die ehrenamtlichen Mitglieder im Organisationsteam, bis dahin allesamt Studentinnen und Studenten, zu der Zeit gerade im Begriff, in ihre jeweiligen Arbeitswelten zu wechseln.
Und letztlich soll man ja bekanntlich aufhören, wenn es am schönsten ist.

Michael Tschida
 

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DIE ORFEO-KONZERTE

89/90
Concentus Vocalis (Wien): „Memento homo – Ars armoris“
Bach Singers (Pecs): „A Ceremony of Carols“
Voces (Wien): „Bonjour mon cœur“
Cantabile (London): „Comedians in Close Hamony“
Greetje Bijma & Elfi Aichinger (Amsterdam & Wien): „Ladies of Voice“
The Hilliard Ensemble (London): „Requiem et Missa“

90/91
W.U. Chor (Wien): „Laudes organi“
Lučnica (Bratislava): „Milá moja milenka“
Die Singphoniker (München): „Ständchen“
La Cappella (Wien): „Singende Geographie Österreichs“
Sol Sol La Sol (Innsbruck): „Dido and Aeneas“
The Swingle Singers (London): „Puttin’ On The Ritz“
Ave Sol (Riga): „Aurora“

91/92
Ensemble Lyra (Wien): „Dixit Dominus ad Adam“
Emma Kirkby & Anthony Rooley (London): „The Golden Age Revived“
Timbre (USA/D/A): „Tönende Augenblicke“
Intermezzo (Utrecht): „Do It A Cappella“
Clemencic Consort (Wien): „Camina Burana“
Ensemble Clément Janequin (Paris): „Le Chant des Oyseaux“

92/93
Dmitri Pokrovsky Ensemble (Moskau): „Porushka
Chanticleer (San Francisco): „Orchestra of Voices“
Michiko Hirayama (Rom): „Canti del Capricorno“
Nova (Wien): „The Lamentationes of Jeremiah“
Eric Ericson Kammerchor (Stockholm): „Vokale Muster“
Tuck & Patti (San Francisco): „Honey Pie“
cappella nova (Graz): „Pulchra es“

93/94
Hugo Distler Chor (Wien): „Jesu, meine Freude“
Guy de Mey (Amsterdam): „Il Combattimento di Trancredi e Clorinda“
Christine Whittlesey (Graz): „La Testa d’Ariane“
Tenores di Bitti & Goiserer Viergesang (Sardinien & Oberösterreich):
„Ballu, si dillu, su pasu torrau und gschmeidige Jodler hinterdrein“
The Real Group (Stockholm): „Chili con carne“
Nathalie Stutzmann (Paris): „La Mort des Amants“

94/95
Arnold Schoenberg Chor (Wien): „Nicolette“
Anthony Rolfe Johnson (London): „Go, Crystal Tears“
Black Voices (Birmingham): „Get Up, Stand Up“
Cantus (Graz): „The Unicorn“
Betty Carter (New York): „Round Midnight“
Ars Nova (Kopenhagen): „En Ny Himmel“

95/96
Derek Lee Ragin (New York): „Da capo, Farinelli“
Le Mystère Des Voix Bulgares (Sofia): „Shope, shope“
Wiener Kammerchor (Wien): „Secundum scripturas“
Singer Pur (Regensburg). „The Lobster Quadrille“
Christoph Homberger (Zürich): „Pa-Pa-Papageno“
Trude Mally & Kollegen (Wien u. U.): „Jodler, Dudler, Juchazer“
The Theatre of Voices (San Francisco): „Hoquetus“

96/97
Quartetto Vocale Giovanna Marini (Rom): „Cantate italiane“
Chœur de chambre Accentus (Paris): „Messe en sol“
Komorni zbor Ave (Laibach): „Psalmus“
Ensemble Daedalus (Genf): „Tres libros de musica“
A*cou*stix (Dallas): „Jeepers Creepers“
Andreas Scholl (Basel): „My Sweet Lesbia“

97/98
Palast Orchester mit Max Raabe (Berlin): „Carmen, hab’ Erbarmen“
Anne-Lise Berntsen (Oslo): „Engleskyts“
Rinde Eckert (New York): „The Idiot Variations“
The King’s Singers (London): „The Nonsense Madrigals“
Anonymous 4 (New York): „11.000 Jungfrauen“
seconda prattica (Stuttgart): „Sturmläufe“

98/99
Linda Tillery & The Cultural Heritage Choir (New York): „African Roots“
Musica Poetica (GB/NL/I/A): „Ovids Reise“
The Orlando Consort (London): „Dust and Ashes“
Voix du Monde (Lhasa/Dublin/Daressalam): „Magie der Stimmen“
Estonian Philharmonic Chamber Choir (Tallinn): „Kanon pokajanen“
ORFEO X: „Der Traum des Orpheus“

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Michael Tschida


      ©  Marija-M. Kanizaj